Seminareinheit: Zeitzeug:innengespräche führen

Seminareinheit

Zeitzeug:innengespräche führen

 

Dauer: Basis 135 min, Vertiefung zusätzlich 45 min
Technische Voraussetzungen: Internetzugang, Videoaufnahmetechnik
Arbeitsmaterialien: grundlegende Informationen zur Biografie des:der Zeitzeug:in
Hintergrundinformationen für den:die Referent:in / die Teilnehmer:innen:

 

Kurzbeschreibung

Thema des Lernmoduls:

Das Lernmodul 1 widmet sich dem Prozess des erzählenden Erinnerns und dem Konstruktionscharakter von Erinnerungen. Die Erinnerungen der Schüler*innen an ein gemeinsames Ereignis bilden den Auftakt für eine Reflexion darüber, wie Erinnerung funktioniert. Anschließend erfahren die Schüler*innen am Beispiel ganz unterschiedlicher Erzählungen über Jugend und Erwachsenwerden in der DDR und im vereinigten Deutschland, dass die Geschichte des Systemumbruchs in Ostdeutschland und des Vereinigungsprozesses als zeitgeschichtliches Ereignis auch diejenigen bis in die Gegenwart geprägt hat, die damals Kinder und Jugendlichen waren. Dadurch werden sie für die spezifische Generationserfahrung der Wendekinder und -jugendlichen der so genannten Dritten Generation Ostdeutschland sensibilisiert.

Didaktische Hinweise:

Erzählte Erinnerungen mit dem Schwerpunkt “Jung sein und Erwachsenwerden in zwei politischen Systemen” eignen sich als Einführung in die historische Zeit des ostdeutschen Systemzusammenbruchs und seinen Folgen, denn:

  • der Fokus auf Kindheit und Jugend knüpft an die Erfahrungswelt der Schüler*innen an
  • individuell erzählte Erinnerungen ermöglichen einen niedrigschwelligen Zugang zur Geschichte
  • durch das exemplarische Untersuchen authentischer und verschiedener Lebenserinnerungen erkennen die Schüler*innen, dass historische Ereignisse von Menschen verschieden betrachtet, erklärt und bewertet werden.

Lernziele:

  • Die Schüler*innen erkennen die Subjektivität und den Konstruktionscharakter historischen Erzählens, indem sie verschiedene individuelle Erzählungen zu einem vergangenen Ereignis vergleichen.
  • Die Schüler*innen erweitern ihr Verständnis des Generationenbegriffs anhand der Generationstypen “Mauerfallkinder” und “Mauerfalljugendliche” und deren Merkmalen.
  • Die Schüler*innen erkennen, dass historisch gemeinschaftlich erlebte Erfahrungen und ihre individuelle Verarbeitung gemeinsame Lebensbilder einer Generation ausbilden.
  • Die Schüler*innen erkennen, dass dabei verschiedene Geschichtsbilder (individuelle und öffentliche) nebeneinander stehen können.

Ablaufvorschlag

Vorbereitung

Die Teilnehmer:innen verständigen sich über einen inhaltlichen Schwerpunkt für das Zeitzeug:innengespräch. Geeignete Themenimpulse können durch den Seminareinstieg „Stimmungsbilder“ aus dem Bildungsangebot „Ich sehe was, das du nicht siehst“ gefunden werden.

Arbeitsphase 1
 

  1. Der:Die Referent:in stellt den Teilnehmer:innen grundlegende biografische Informationen zum:zur Zeitzeug:in zur Verfügung, bspw. eine Kurzbiografie oder einen audio-visuellen Zeitzeugenbericht.
  2. Die Teilnehmer:innen bilden Arbeitsgruppen mit 3 – 5 Personen.
  3. Die Arbeitsgruppen informieren sich anhand der biografischen Informationen über den:die Zeitzeug:in.
  4. Der:Die Referent:in klärt ggf. Verständnisfragen der Teilnehmer:innen zu den biografischen Informationen.
  5. gibt der:die Referent:in den Arbeitsgruppendes Zeit, ihr Hintergrundwissens zu Schlüsselereignissen, Daten, Begriffen in den Informationen zum:zur Zeitzeug:in zu vertiefen – durch
  6. a) den:die Referent:in oder b) durch eigene Recherchen.
  7. Die Arbeitsgruppen erarbeiten für das Interview 3 – 5 Fragen an den:die Zeitzeug:in.
  8. Die Arbeitsgruppen stellen ihre Fragen im Plenum vor. Der:Die Referent:in clustert mithilfe der Teilnehmer:innen die Fragen nach Themenschwerpunkten.
  9. Jede Arbeitsgruppe wählt einen Themenschwerpunkt und dazu drei geeignete Fragen (Interviewleitfaden) an den:die Zeitzeug:in aus.
  10. Der:Die Referent:in weist auf den Unterschied von „offenen” und „geschlossenen” Fragen hin und empfiehlt den Teilnehmer:innen, für ihren Interviewleitfaden „offene Fragen” zu formulieren.
  11. Die Teilnehmer:innen präsentieren, diskutieren und finalisieren die Leitfadenentwürfe im Austausch mit dem Plenum und mit dem:der Referent:in.
  12. Jede Arbeitsgruppe findet mind. eine:n Interviewer:in, der:die die Fragen an den:die Zeitzeug:in richten wird.
Arbeitsphase 2
 

  1. Jede Arbeitsgruppe findet mind. eine:n Interviewer:in, der:die die Fragen an den:die Zeitzeug:in richten wird.
  2. Die Teilnehmer:innen wählen ihre Aufgabe während des Interviews: Interview führen, Interview beobachten, Interview aufzeich nen, Zeiteinteilung managen.
  3. Der:Die Referent:in spricht mit den Teilnehmer:innen einige schwierige Interviewsituationen durch: Einführung in das Interview / Zeitzeug:in hört nicht mehr auf zu reden oder redet zu wenig / Zeitzeug:in oder Interviewer:innen sind überwältigt / Gesprächsführung behalten / verbleibende Zeit anzeigen.
Arbeitsphase 3
 

  1. Die Interviewer:innen führen das Gespräch anhand ihres Leitfadens und der darin festgehaltenen Themenschwerpunkte und Fragen durch.
  2. Die beobachtenden Teilnehmer:innen dokumentieren stichpunktartig den Interviewverlauf, halten Kernaussagen sowie die Stimmung fest und notieren sich vertiefende Fragen, die sie am Ende des Interviews stellen möchten.
  3. Die Interviewer:innen moderieren die Gesprächsrunde.
  4. Das Interview wird ggf. audio-visuell aufgenommen sowie fotografisch dokumentiert. Voraussetzung ist das Einverständnis des:der Zeitzeug:in und der Teilnehmer:innen.
Arbeitsphase 4
 

  1. Die Teilnehmer:innen halten auf Papier oder Tablet als Skizze oder in Stichpunkten fest, was vom Zeitzeug:inneninterview
  • in Erinnerung geblieben ist
  • sie zusammenfassen würden,
  • wichtig, berührend, erhellend, überraschend, vergleichbar zu …, total anders als … war,
  • noch unklar geblieben ist.
  1. Anschließend bringen die Teilnehmer:innen alle Skizzen auf dem Fußboden in eine Reihenfolge nach eigener Logik und erzählen im Plenum über ihre Wahrnehmung, um:
  • die biografische Erzählung zu reflektieren: Themenfelder des:der Zeitzeug:in, Eindrücke, Lebensweltbezüge und Fragenstellungen der Teilnehmer:innen.
  • zu erkennen, dass es zum Interview gleiche und individuell unterschiedliche Beobachtungsergebnisse
Arbeitsphase 5
  1. Die Teilnehmer:innen verstehen das Interview als eine Quelle, die sie auswerten in Form einer:
  • äußeren Quellenkritik, bspw:
    • Wie alt war der:die Zeitzeug:in zum Zeitpunkt der historischen Ereignisse oder Prozesse? War der:die Zeitzeug:in am Ort der historischen Ereignisse oder Prozesse? Wie lange?
    • Wie nah war der:die Zeitzeug:in am Geschehen?
    • Welche Rolle oder Funktion hatte der:die Zeitzeug:in?
  • inneren Quellenkritik, bspw.:
    • Über welche wichtigen historischen Ereignisse und Themen wird im Interview gesprochen? Über welche nicht? Womit könnte das zusammenhängen?
    • Wie hat der:die Zeitzeug:in die historischen Ereignisse und Themen erlebt?
    • Was war für ihn:sie besonders beeindruckend, wichtig oder prägend?
    • Wie beurteilt er:sie die Rolle der historischen Erfahrungen für seine:ihre Lebensentwicklung? Welche Gründe haben evt. zu dieser Beurteilung geführt?
  1. Anschließend vergleichen die Teilnehmer:innen das erworbene Geschichtswissen mit anderen historischen Quellen und mit kontextualisierender Sekundärliteratur, um
  • zu erkennen, dass es Gemeinsamkeiten und Widersprüche zwischen der konkreten Geschichte des:der Zeitzeug:in und der offiziellen bzw. kollektiven Geschichtserzählung gibt.
  • sich über den Konstruktionscharakter von Geschichte bewusst zu werden: Die Lesart von Geschichte ist stets abhängig von vielschichtigen individuellen, sozialisatorischen, historischen und gegenwartsspezifische Prägungen und Filtern.