Einführung
Zeitzeug:innen in der historisch-politischen Bildung
Warum und wie?
Zeitzeug:innengespräche sind längst ein etablierter Bestandteil der historisch-politischen Bildungsarbeit. Sie eröffnen persönliche, erfahrungsgeschichtliche Zugänge zu oft komplexen Themen, die die Teilnehmer:innen motivieren können, sich mit historisch-politischen Sachverhalten und Begriffen auseinanderzusetzen.
Ein Zeitzeug:innengespräch ist eine geplante, gut vorbereitete Befragung mit einem thematischen und/oder biografischen Schwerpunkt. Mit einem Zeitzeug:innengespräch wird eine historische Quelle produziert, die anschließend ausgewertet und verglichen werden muss.
Bei einem Interview mit einem:einer Zeitzeug:in ist zum einen die Sicht des:der Gesprächspartner:in auf vergangene Ereignisse spannend: Wie bewertet ein Mensch, der sie miterlebt hat, diese? Zum anderen lohnt es sich, aus eigenem Erkenntnisinteresse zu fragen: Wie erinnert sich ein Mensch aus heutiger Sicht an historische Ereignisse?
Bei einem Interview mit einem:einer Zeitzeug:in ist zu beachten, dass Erinnerung lückenhaft und emotional gefärbt ist. Erinnerung ist immer orientiert an den angenommenen Erwartungen der Rezipient:innen. Zur historischen Einordnung und Auswertung ist Vor- und Kontextwissen nötig. Denn: Zeitzeug:innen sind weder Geschichtslehrer:innen noch Geschichtenerzähler:innen.
Ein Gespräch mit einem:einer Zeitzeug:in sollte im Idealfall analog stattfinden. Dennoch haben sich auch Videokonferenztools inzwischen als Gesprächs“orte“ etabliert.
Voraussetzung eines jeden Zeitzeug:innengesprächs ist eine ausführliche Vorbereitung, wenn möglich, anhand erster biografischer Informationen zu dem:der Zeitzeug:in.
Zudem sollte zu unbekannten Begriffen, Ereignissen, Institutionen oder Personen recherchiert werden.
Die Vorbereitung ist dann die Grundlage für einen Gesprächsleitfaden. Dazu können die Teilnehmer:innen sich in Kleingruppen auf unterschiedliche Themenschwerpunkte konzentrieren und ihre Interviewleitfäden abschließend aufeinander abstimmen. Schließlich gilt es sicherzustellen, dass alle Teilnehmer:innen während des Interviews eine Rolle übernehmen können (Interviewer:innen, Beobachter:innen, Protokollant:innen und Zeitwächter:innen) und wissen, was sie in dieser Rolle erwartet.
Zur Auswertung des Interviews mit einem:einer Zeitzeug:in gehört die Dokumentation des Gespräches. Dafür empfiehlt sich folgende Aufteilung:
- innere Quellenkritik: Welche historischen Ereignisse werden von dem:der Zeitzeug:in besprochen (oder nicht), wie, warum, mit welchen Konsequenzen für ihn:sie?
- äußere Quellenkritik: Wie nah war der:die Zeitzeug:in in welchem Alter, Funktion, Rolle, Umstand welchen während den historischen Ereignissen (und welchen nicht)?
Zeitzeug:innen der Dritten Generation Ostdeutschland
Zeitzeug:innen der Dritten Generation Ostdeutschland haben ein besonderes Potential für die historisch-politische Bildung: Ihre generationsbedingte Positionierung zwischen den Generationen mit DDR-Erfahrung und denen ohne ermöglicht es vor allem:
- einen Dialog über Kindheit und Jugend in der DDR und über die sich anschließende Transformation Ostdeutschlands zu führen. Der historische Rahmen wird im Vergleich zu älteren Zeitzeug:innengruppen also geweitet und rückt dadurch die Folgen der SED-Diktatur stärker in den Fokus.
- den „klassischen“ Opfer-Täter-Perspektiven eine alltagsweltliche Sichtweise hinzuzufügen. Dadurch tragen sie dazu bei, die Kluft zwischen offizieller Geschichtsschreibung und individuellem DDR-Erleben zu verringern.
- besonders deutlich auf den Konstruktionscharakter historischer Überlieferungen zu verweisen, denn die Erinnerungen der Dritten Generation Ostdeutschland beruhen häufig auf einer Mischung aus selbst Erlebtem und familiär sowie medial vermittelten Erzählungen.
Tipp
Zur Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Zeitzeug:inneninterviews bieten sich die Seminareinheit „Zeitzeug:innengespräche führen“ sowie das Arbeitsblatt „Interviewleitfaden ‘4 Fragen zum Umbruch’“ aus diesem Bildungsangebot an. Erläuterungen sogenannten Dritten Generation Ostdeutschland und zum Erkenntniswert von Fotografien als historische Quellen befinden sich in den entsprechend benannten Einführungstexten.