Seminareinheit
Flimmerstunde. Erfahrungen der Umbruchsgeneration im Spiegel künstlerischer Fotografien
Dauer: 120 min
Technische Voraussetzungen: Internetzugang, Smartphones oder Computerzugang
Arbeitsmaterial:
- Arbeitsblatt: “Flimmerstunde”
- filmische Kurzporträts von Fotograf:innen auf der-dritte-blick.de
Einführungstexte für den:die Referent:in:
- „Die Dritte Generation Ostdeutschland“
- „Fotografien als historische Quellen“ (als Kontrast zur künstlerischen Fotografie)
Kurzbeschreibung
Thema
Diese Seminareinheit eignet sich für einen gemütlichen Filmabend mit den Teilnehmer:innen. Ausgangspunkt dieser „Flimmerstunde“ sind filmische Porträts über vier ostdeutsche Künstler:innen und ihre Foto- und Videoarbeiten. Im Fokus steht dabei die Frage, wie die Umbruchserfahrungen der Fotograf:innen im wiedervereinigten Deutschland ihr Leben und ihre künstlerische Praxis prägen. Welche Themen nehmen sie in den Fokus? Wie begreifen sie Herkunft, Identität und Globalisierung? Anhand der vier filmischer Kurzporträts können in der „Flimmerstunde“ die spezifischen Umbruchserfahrung von Angehörigen der Dritten Generation Ostdeutschland, ihre künstlerische Verarbeitung mit den Ausdrucksmitteln der Fotografie sowie eine Reflektion eigener Generationenerfahrungen der Teilnehmer:innen, ihre gesellschaftspolitischen Einflüsse und Ausdrucksformen vermittelt und miteinander in Bezug gesetzt werden.
Didaktische Hinweise
Für die Seminareinheit sollte ein Rahmen geschaffen werden, in dem die Teilnehmer:innen beispielsweise einen schönen und auch gemütlichen Filmabend erleben können. Vorkenntnisse der Teilnehmer:innen zum politischen Umbruch von 1989/90 sind nicht nötig, aber von Vorteil.
Die Seminareinheit „Flimmerstunde“:
- bietet einen Zugang zur Thematik „Kindheit und Erwachsenwerden in zwei politischen Systemen über den Zugang der Fotografie als künstlerische Ausdrucksform. Es weicht damit von den Alltagsfotografien des Bildungsangebotes „Ich sehe was, das du nicht siehst“ ab.
- kann in den Seminartagen als kulturelles Angebot (bspw. ein Filmabend) eingesetzt werden,
- kann auch in andere Seminareinheiten eingebunden und mit anderen Aufgabenstellungen, als hier vorgeschlagen, verknüpft werden.
Lernziele
Die Teilnehmer:innen
- erweitern ihr Verständnis der Umbruchserfahrungen der Dritten Generation Ostdeutschland.
- lernen Künstler:innen kennen, die diese Generationenerfahrung in ihre Fotografie und Videoarbeiten einfließen lassen.
- reflektieren ihre Generationenprägungen und befragen sich nach eigenen möglichen Formen der Auseinandersetzung oder Verarbeitung damit.
Ablaufvorschlag
Arbeitsphase 1
- Der:Die Referent:in zeigt den Teilnehmer:innen zu Beginn den Trailer zum Ausstellungsprojekt „Der Dritte Blick“ (der-dritte-blick.de) , ohne ihn vorher eingeordnet zu haben. So wird die Neugier der Teilnehmer:innen geweckt. Der Trailer gibt einen ersten Eindruck von Künstler:innen, die mit den Medien Fotografie und Video eine Auseinandersetzung mit dem politischen Umbruch von 1989/90 suchen und daraus Motivation oder Stoff für ihre künstlerischen Arbeiten ziehen. Der Zugang zur Thematik über künstlerische Positionen soll die Neugier der Teilnehmer:innen wecken, damit sie sich schließlich selbst zu ihren gesellschaftspolitischen und biografischen Prägungen austauschen.
- Anschließend erläutert der:die Referent:in das Ziel der „Flimmerstunde“:
- In den Kurzfilmen wird das Thema „Die Umbrucherfahrungen der Dritten Generation Ostdeutschland“ über fotografische Positionen vermittelt.
- Die Kurzfilme sind 2015 im Rahmen des Fotoausstellungsprojekts „Der Dritte Blick“ entstanden. Damals jährte sich die Deutsche Einheit zum 25. Mal – ein Prozess, der damals wie heute noch nicht abgeschlossen war und den Menschen auf unterschiedliche Weise mitgestalten. Zu diesem Anlass präsentierte Perspektive hoch 3 e. V. in Kooperation mit dem Freundeskreis Willy-Brandt-Haus und der Stadtgalerie Kiel eine Ausstellung mit Positionen von Fotograf:innen, die in den 1970er- und 1980er-Jahren in der DDR geboren wurden. Sie sind Teil einer Generation, um die sich seit dem Jahr 2010 unter Begriffen wie „Dritte Generation Ostdeutschland“ oder „Wendekinder“ eine Diskussion darum entfachte, welche Auswirkungen das Erwachsenwerden in zwei verschiedenen politischen Systemen auf die Wahrnehmung aktueller gesellschaftlicher Zustände hatte.
- Am Beispiel von Foto- und Videoarbeiten von neun Künstler:innen fragte die Ausstellung danach, wie die Umbruchserfahrungen der Fotograf:innen im wiedervereinigten Deutschland ihr Leben und ihre künstlerische Praxis prägen. Welche Themen nehmen sie in den Fokus? Wie begreifen sie Herkunft, Identität und Globalisierung? Welche Reflexionsräume eröffnen sie über das Medium Fotografie? Filmische Kurzporträts begleiten die Positionen und stellen Bezüge zu biografischen und gesellschaftspolitischen Ereignissen her.
- Das Webangebot der-dritte-blick.de archiviert eine Essenz der Ausstellungsinhalte und macht sie in digitaler Form langfristig zugänglich.
- Die Gruppe schaut sich gemeinsam die filmischen Kurzporträts über die folgenden vier Künstler:innen an: Magret Hoppe, Ina Schoenenburg, Sven Gatter, Luise Schröder.
- Zwischen den einzelnen Kurzfilmen werten die Teilnehmer:innen im Partner- oder Kleingruppengespräch das Gesehene anhand der folgenden Fragen aus (jeweils 15 min):
Fotograf:innen | Fragen | Mögliche Antworten |
Margret Hoppe | Wie beschreibt Margret Hoppe die Verlusterfahrungen ihrer Generation und wie finden diese Erfahrungen Ausdruck in ihren Bildern? | – Margret Hoppe macht den Verlust am Verschwinden von DDR-Auftragskunst im öffentlichen Raum beispielhaft fest.
– Öffentliche Gebäude und Kunstwerke im öffentlichen Raum waren Repräsentationsorte des politischen Systems in der DDR. Ihr bewusst in Kauf genommener Verfall oder das Entfernen stehen für Margret Hoppe symbolisch für den Machtverlust der einstigen DDR-Staatsführung, aber gleichzeitig auch für einen Verlust von Geschichte und fehlende Wertschätzung des künstlerischen Wertes und der Bedeutung für die Identität einer Gesellschaft. – Die verbliebenen Ruinen oder die verwaisten Orte der DDR-Geschichte stehen für Margret Hoppe zudem symbolhaft für Entwertungserfahrungen von vielen DDR-Bürger:innen. |
Was berichtet Margret Hoppe über die Auswirkungen des politischen Umbruchs 1989/90 auf die Verhältnisse in ihrer Familie und auf ihr Erwachsenwerden? | – Margret Hoppe erinnert sich an eine generelle Unsicherheit der Eltern vor den neuen, unbekannten Entwicklungen im Land und speziell den Auswirkungen auf das Berufsleben.
– Mit dem Umbruch kam eine neue Zeitrechnung für das familiäre Zusammenleben: Die Eltern waren zeitlich viel stärker eingebunden als in der DDR – insbesondere durch die Anpassungsleistung an die westliche Arbeitswelt. Sie hatten nun viel weniger Zeit für ihr Kind. Margret Hoppe erlebte das Wegbrechen des bisherigen sozialen Gefüges. – Margret Hoppe suchte nach Zugehörigkeit, die ihr das kapitalistische System nicht bot. Sie fand sie in der Musik und bei Menschen, die wie sie ticken und handeln wollten. |
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Kennst du aus deinem Umfeld/in deiner Stadt auch Dinge mit denen man öffentlich das lokale oder das Selbstverständnis ausdrücken möchte? Welche sind das? Erläutere, ob und wie du davon geprägt wirst. | – Teilnehmer:innen finden individuelle ihre Antworten.
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Ina Schoenenburg | Was kennzeichnet die Familienfotografien von Ina Schoenenburg? | – Die Fotografien von ihren Eltern erwecken zunächst einen dokumentarischen Charakter, denn die Familie wird im Alltagsleben abgebildet.
– Die Darstellung der Personen ist ungeschminkt, ungeschönt und gibt intime Einblicke in den Familienalltag. – Hinter dem dokumentarischen Eindruck steckt aber der Versuch, abzubilden, wie sehr die Eltern mit sich beschäftig sind – analog zu den Erfahrungen von Ina Schoenenburg mit ihren Eltern in der Zeit des politischen Umbruchs 1989/90. – Künstlerisch sollen die Bilder zudem keine bekannten, vertrauten Motivvariationen von Familienfotografien wiederholen. |
Wie ist das Verhältnis von Ina Schoenenburg zu ihren Eltern vor dem Hintergrund der Lebenswege und Umbruchserfahrungen aller Beteiligten? | – Ina Schoenenburgs Vater war in der DDR auf sehr hoher Ebene in das politische System eingebunden. Das wurde für Ina Schoenenburg nach dem politischen Umbruch 1989/90 zu einem sensiblen Thema, zu dem sie sich hin- und hergerissen gefühlt hat. – Für Ina Schoenenburg sind die Ideale ihres Vaters von Bedeutung, da sie sich mit ihnen auch identifizieren kann. |
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Ina Schoenenburg sagt, dass sie sich als Deutsche und auch als Ostdeutsche fühlt. Gleichzeitig fragt sie sich, wie man sich denn als Ostdeutsche fühlt. Was würdest du über dich sagen und warum? | – Teilnehmer:innen finden individuelle ihre Antworten. | |
Sven Gatter | Was berichtet Sven Gatter über die Erfahrungen seiner Generation in ihrem Verhältnis zum Thema Heimat? | – Heimat entsteht aus der Möglichkeit, aus einer gewissen Distanz darauf schauen zu können und darin Heimat zu erkennen.
– Heimatgefühl ist nicht ungebrochen und kann unausreichend sein, um dauerhaft in der Heimat zu bleiben. – Heimat kann sogar zu einem „Mythos“ werden, der nur noch in den eigenen Gedanken zu finden ist, aber nicht mehr in der Realität. |
Welche Rolle spielt die Fotografie für Sven Gatter in der Auseinandersetzung mit seiner Heimat? | – Die fotografische Arbeit in seiner Heimat gibt Sven Gatter Gelegenheit, die Veränderungen und den grundlegenden Wandel da systematisch zu beobachten.
– Seine Heimat sieht er dabei beispielhaft für größere Umbruchprozesse. – Die Ambivalenzen, die er in der Einordnung und Bewertung des politischen Umbruchs von 1989/90 verspürt, kann er auffangen, weil die fotografische Arbeit der Antrieb ist, trotzdem immer wieder in seine Heimat zurückzukehren. |
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Welche Rolle spielt Fotografie für dich und in Bezug auf welche Themen? | – Teilnehmer:innen finden individuelle ihre Antworten. | |
Luise Schröder | Was kennzeichnet die künstlerischen Arbeiten von Luise Schröder? Welche Fragen will Luise Schröder mit ihrer Arbeit aufwerfen und welche Mittel wählt sie dafür? | – Luise Schröder arbeitet mit historischen Themen, die sie zum Ausgangspunkt weitgehender Recherchen zum historischen Kontext, aber auch zu Gegenwartsdebatten macht. Sie interessiert sich dafür, wie Erinnerungskulturen durch Medien, politische Diskurse und Bildproduktion beeinflusst und geformt werden und welche Wirkung dies auf Identitäten und Gemeinschaften hat.
– Dabei geht sie nahezu dokumentarisch vor und recherchiert bspw. in Archiven. Dadurch legt sie in Schichten auch unterschiedliche Phasen des Umgangs mit Geschichte frei. – Ihre Arbeiten bilden eine Art „Bestandsaufnahme“ zum Thema mit Perspektiven aus Vergangenheit und Gegenwart darauf sowie mit Fragen an die Zukunft. |
Was berichtet Luise Schröder über ihre Prägung in der Umbruchszeit? Und wie beurteilt sie diese Prägung aus heutiger Sicht? | – Luise Schröder hat ihre Kindheit in der DDR verbracht. In ihre Erinnerungen daran mischen sich Erfahrungen ihrer Eltern und Großeltern mit später erworbenem Wissen aus dem Schulunterricht oder anderen Rückblicken.
– Die Umbruchszeit ist in der Familie auch mit Verunsicherung und Verlusterfahrungen verknüpft. – In den 1990er-Jahren wird Luise Schröder in der Hausbesetzerszene in Potsdam politisiert. Sie entwickelt eine eigene Position dazu, wer sie ist und sein möchte, welche Gesellschaftsvorstellung sie hat und wie sie sich zum neuen politischen System verhalten möchte. – Diese Erfahrungen prägen seither ihre Sicht auf und ihre Orientierung in der Welt. |
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Wo begegnet dir Fotografie als besonders wirksames Medium? Und wo würdest du gern die Blickrichtung zu einem anderen „Ausschnitt der Wirklichkeit“ wenden können? | – Teilnehmer:innen finden individuelle ihre Antworten. |
Arbeitsphase 2
Die Teilnehmer:innen fassen ihre Eindrücke und Erkenntnisse unter folgenden Leitfragen zusammen und reflektieren diese abschließend im Plenum zusammen:
- Was vermitteln die gesehenen künstlerischen Arbeiten über die Vergangenheit – konkret über den politischen Umbruch 1989/90, seine Vorgeschichte und seine Folgen?
- Was sagen uns die künstlerischen Arbeiten über unsere Gegenwart?
- Welche Prägungen finden in eurer Fotogalerie (bspw. auf euren Smartphones oder Laptops) Ausdruck?