Robert, geboren 1976
in Ostberlin

Foto: © privat
„Auf die Transformationsleistung können die Menschen mit DDR-Hintergrund zurecht stolz sein, ohne dabei die Vergangenheit zu verklären.“

Kurzbiografie

Robert wird 1976 in Ostberlin geboren. Er ist das erste von zwei Kindern. Die Eltern sind Diplomaten des Auswärtigen Dienstes der DDR – erst in Vietnam und mit Robert für zweieinhalb Jahre in Moskau. Dort geht er in den Kindergarten der Botschaft. Zurück in der DDR wohnt die Familie zunächst in Ostberlin und zieht dann in eine neue Plattenbausiedlung in Oranienburg. Seine Kindheit erlebt Robert mit den Kindern anderer Familien im Wohngebiet. Dort wird noch viel gebaut und auf den Baustellen gibt es immer genug Spielmöglichkeiten. Für Robert ist Oranienburg einfach ein schöner Ort. Die Stadt ist aber auch ein Schwerpunkt der Stahl- und Pharmaindustrie in der DDR. Dass das Folgen für die Umwelt hat, wird ihm erst viel später durch Erzählungen von Freund:innen oder seiner Mutter bewusst, wenn sie sich beispielsweise an den aggressiven Geruch in der Stadt erinnern.

1983 kommt Robert in die Schule. Er geht da gern hin, denn die meisten Fächer fallen ihm leicht. Seine Lehrer:innen sind jung und deswegen nicht so streng. Sie vermitteln den Schüler:innen viel Wissen und lassen die politische Indoktrination, die der Staat eigentlich von ihnen fordert, eher weg. Allerdings kommen die rein politischen Fächer auch erst in der 7. Klasse. In seiner Schulklasse gibt es einen so genannten Gruppenrat, in dem Robert verschiedene Funktionen übernimmt – unter anderem als Agitator, Kassenwart und Redakteur für die Wandzeitung. Nach dem Unterricht verbringt er die Nachmittage mit seinen Freunden beim Fußball oder Tischtennis. Seit der ersten Klasse spielt er zudem im Handballverein und als Jugendlicher wird er dort Schiedsrichter. Meist kommt Robert erst zum Abendessen wieder nach Hause. Die Eltern arbeiten Vollzeit und so lernt er früh, selbständig zu sein.

Mutter und Vater sind beide Mitglieder in der SED. Sie glauben an den Sozialismus, ebenso wie ihre Freunde, von denen einige aus der Sowjetunion kommen. Bei konkreten Themen kritisiert vor allem die Mutter schon mal Entscheidungen der SED-Führung. Grundsätzlich aber stellen die Eltern das Ein-Parteien-System nicht in Frage, sondern wünschen sich Veränderungen innerhalb der bestehenden Gesellschaftsordnung. So verteidigen sie beispielsweise auch die Mauer und finden, dass, wer bei der Flucht scheitert, ja um die Gefahr habe wissen können.

Im Schuljahr 1989/90 kommt Robert in die 7. Klasse. Das Fach Staatsbürgerkunde ist nun neu. Anfangs wird da noch im Sinne der kommunistischen Weltanschauung unterrichtet. Aber die Schüler:innen wollen bald mehr zu den aktuellen Ereignissen im Land wissen, von denen sie im Westfernsehen erfahren. Auch immer mehr Lehrer:innen äußern sich distanziert zur DDR – vor allem die jüngeren.

Am Abend des 9. November schaut Robert mit seiner Mutter Fernsehen, während der Vater in der Küche Musik hört hat. Bei der Pressekonferenz mit Gunther Schabowski versteht Robert die Tragweite der verkündeten Neuigkeit zum Reisegesetz zunächst nicht – seine Mutter hingegen sofort. Als dann im Westfernsehen die Bilder von den Menschen auf der Mauer gezeigt werden, weint der Vater. Am nächsten Tag, ein Freitag, ist Robert fast der Einzige, der zur Schule kommt. Viele Mitschüler:innen besuchen mit ihren Familien schon Westberlin. Roberts Familie hingegen fährt erst Wochen später. Die Welt, die er dort sieht, ist so ganz anders, als was er von der DDR kennt. Beim Einkaufsbummel durch die vollen Kaufhäuser Westberlins bekommt Robert einen Doppelkassettenrekorder vom Begrüßungsgeld. Seitdem die Grenzen gen Westen offen sind, kann nun auch die ganze Familie den Opa besuchen, der 1989 in den Westen nach Baden-Württemberg gezogen ist. Bislang haben nur Roberts Mutter und Schwester einmal eine Reiseerlaubnis zu seinem 75. Geburtstags bekommen.

Für Robert und seine Familie geht das Leben in den nächsten Monaten ganz normal weiter: Die Eltern behalten ihre Anstellungen, in der Schule bleiben die meisten Lehrer:innen und auch sein Sportverein besteht weiter. Dabei verändert sich im Land im Grunde gerade alles. Dem Beitritt der DDR zur BRD stehen die Eltern zurückhaltend und kritisch gegenüber, sie lehnen ihn aber nicht grundsätzlich ab. Und sie nutzen die neuen, materiellen Möglichkeiten: ein Westauto, bessere Kleidung, Technik, aber auch Reisen ins westliche und ins osteuropäische Ausland.

Als Jugendlicher beginnt Robert, sich für Politik und gesellschaftliche Debatten zu interessieren, ohne sich aber aktiv zu engagieren. In seinem Freundeskreis gibt es auch einige, die völkisch-nationalistisch denken und handeln. Im Laufe der Jahre scheinen diese Einstellungen dann nachzulassen, aber sie sind nie wirklich weg und treten heute wieder deutlich zu Tage. Robert zieht andere Schlüsse: Er genießt ein selbständiges, freiheitlichen Leben, das wohl kaum mit den einengenden Bedingungen der DDR vereinbar gewesen wäre.

Den hohen Stellenwert von Bildung nimmt Robert als bewahrenswerte DDR-Erfahrung auf seinen weiteren Lebensweg mit. Nach dem Abitur 1996 macht er den Grundwehrdienst bei der Bundeswehr und geht anschließend zum Jurastudium an die Humboldt-Universität in Berlin. Es folgen ein Referendariat in Neuruppin und bis 2007 ein Master der Rechtswissenschaft in Norwich, Ostengland.

Seither arbeitet Robert als Bundesbeamter in Bonn, wo er mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern lebt.

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