Kurzbiografie
Von ihren Eltern lernt sie, dass Gleichheit und Gerechtigkeit wichtig sind. Für sie ist es klar, dass die Arbeit eines Arbeiters genauso wertvoll ist wie die Arbeit eines Produktionsleiters oder eines Lehrers.
Dem SED-Staat stehen ihre Eltern distanziert gegenüber. Sie tragen hohe Verantwortung in ihren Produktionsbetrieben, sind jedoch kein Mitglied in der SED. Auch ihre Tochter versuchen sie dem staatlichen Erwartungsdruck zu entziehen. Als Dörte, die regelmäßig Leichtathletik in einem Sportverein trainiert, für die Sportschule abgeworben werden soll, sind die Eltern dagegen und lehnen ab.
1988 bekommt die Familie Besuch von Verwandten aus Kanada. Die Verwandten stellen ihre Sicht auf die Missstände in der DDR dar: Autos aus Pappe, die Wirtschaft am Ende, die Menschen im Land eingesperrt. Als Dörtes Mutter ein halbes Jahr nach dem Verwandtschaftsbesuch die Erlaubnis erhält, die kanadischen Familienangehörigen zu besuchen, überlegen Dörtes Eltern auch, einen Ausreiseantrag zu stellen. Soweit kommt es nicht mehr, denn ein Jahr später fällt die Mauer. Dieses Ereignis feiern ihre Eltern mit Begeisterung. Am 9. November 1989 sind Dörte und ihre Eltern für einen Opernbesuch in Berlin. Sie sehen die vielen Leute auf der Straße, können sich aber nicht erklären, was passiert. Auf dem Heimweg nach Wittstock erfahren sie dann über die Radionachrichten, dass die Grenzübergänge in Berlin geöffnet wurden. Fortan beginnen ihre Eltern, von der Zukunft zu träumen.
Auch Dörtes Familie fährt in jener Zeit „in den Westen“ und sie bekommt vom Begrüßungsgeld einen Walkman. „Musik“, so sagt sie, „wurde zu einem großen Teil meines Lebens“.
1990 kommt Dörte aufs Gymnasium, was nicht ohne Folgen für ihre Freundschaften in ihrem Wohngebiet bleibt. Nun macht man Unterschiede zwischen „besser“ und „schlechter“ und nicht alle Freundschaften halten. Und es ist auch die Zeit, in der sich ihr Freundeskreis politisiert. Viele sympathisieren mit der rechten Szene, ohne zu wissen, was das bedeutet. Das Wissen über die NS-Geschichte und den Holocaust, sagt Dörte, erhält sie erst ab der 8. Klasse.
Die Anfangseuphorie der Eltern über die Wende ist 1992 schon verflogen. Für Dörtes Vater gibt es einige Zeit keine Arbeit im Betrieb und damit auch keinen Lohn. Die Mutter muss den Konkurs eines Großbetriebes mitverwalten. Sie ist eine der Letzten, die entlassen werden. Ehemalige Kollegen gehen ihr aus dem Weg. Zudem erfahren die Eltern, dass einer ihrer besten Freunde als IM für die Staatssicherheit tätig war.
Für Dörte ändert sich nach 1989 vieles. Dem Schulwechsel folgen Lehrplanumstellungen, der Verlust von Freundschaften, der innere und äußere Drang, einer Gruppe zuzugehören und das persönliche Bedürfnis, sich gegen Neonazis abzugrenzen. Vor allem ist es für sie eine Zeit im rechtsfreien Raum. Die Weichen werden neu gestellt, aber keiner weiß, was das im neuen System bedeutet.
Die Zeit Mitte der 1990er-Jahre ist für Dörte erneut von großen Veränderungen geprägt. 1994 zieht die Familie nach Pritzwalk und 1997 geht sie zum Studium nach Berlin. Zu den größten Freiheiten, die sie in der Zeit nutzt, zählt Dörte vier Auslandsaufenthalte in Südamerika.
Der Mauerfall und die damit verbundene Erfahrung, in zwei verschiedenen Systemen aufzuwachsen, hat Dörte nachhaltig geprägt. Sie schätzt die Vorteile der Demokratie. Die Härte des freien Marktes durch den Kapitalismus führt sie persönlich jedoch dazu, sich oft die Systemfrage zu stellen. Sie wünscht sich nicht den Sozialismus zurück, fragt sich aber, in welchem politischen System die Menschen ein gutes Leben führen könnten.
Heute lebt Dörte in Berlin und arbeitet seit 2008 als freiberufliche Autorin und Filmemacherin.
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