Cornelia, geboren 1978
in Ostberlin

Foto CorneliaWFoto: © Sven Gatter
„Aber was sollte mit den Lehrern geschehen, die in der Partei waren? Wollte ich von denen weiter unterrichtet werden?“

Kurzbiografie

Cornelia wird 1978 in Ostberlin geboren und verbringt ihre Kindheit in den Stadtteilen Prenzlauer Berg und Marzahn. Die Eltern erziehen sie und ihren Bruder zu kritisch und frei denkenden Menschen, beide Geschwister sind evangelisch getauft. Die Familie schaut Westfernsehen, hört den RIAS und Cornelia findet es albern, dass man das in der DDR nicht darf. Doch die Eltern ermahnen sie, davon in der Schule oder im Sportverein nichts zu erzählen, wenn sie einmal Abitur machen und studieren wolle. Außerdem bekommt sie schon als Kind mit, dass ihr Opa aufgrund seiner Selbständigkeit viele Nachteile hat und es ihm vor allem finanziell schwer gemacht wird. Sie findet das ungerecht und sagt es auch. Ihre Kindheit und Jugend wird beschwert durch große familiäre Probleme, die die Eltern nicht lösen können.

In der ersten Klasse wird Cornelia bei den Jungpionieren aufgenommen, doch da ist sie nicht gern. Deshalb ist sie erleichtert, dass man ihr erlaubt, an Akrobatikwettkämpfen teilzunehmen, wenn zeitgleich Pionierveranstaltungen stattfinden. Im Herbst 1989 wird Cornelia gerade elf Jahre alt und kommt in die 5. Klasse. Sie freut sich, endlich Physik und Biologie in der Schule zu haben. Auch das rote Halstuch der Thälmann-Pioniere bekommt sie, worauf sie jedoch nicht stolz ist. Nachrichten schaut die Familie selten und wenn, dann im Westfernsehen, denn die „Aktuelle Kamera“ ist allen verhasst. Von den Protesten in Leipzig und Berlin bekommt Cornelia einiges mit, aber versteht noch nicht genau, was da passiert. Zuhause sind die Ereignisse des Herbstes 1989 kein Gesprächsthema. Ähnlich erlebt sie es in der Schule. Die Lehrer scheinen das Thema zu umgehen. Am Tag nach dem Mauerfall geht Cornelia davon aus, dass alles normal weitergeht, dass sie und ihre Mitschüler zum Unterricht kommen und die Eltern zur Arbeit gehen. Tatsächlich fehlen aber schon ein paar Schüler, sogar aus systemtreuen Familien.

Auch Cornelia interessiert es, wie es in Westberlin, das sie bis dahin nur aus der Ferne hoch oben vom Fernsehturm aus sehen konnte, wirklich aussieht. Gleich am Wochenende gehen ihre Mutter, ihr Bruder und sie zum Grenzübergang an der Berliner Oberbaumbrücke. Dort ist die Schlange wartender Menschen so lang, dass sie erst wieder umkehren wollen. Schließlich stellen sie sich an. Als sie dran sind, mustert sie der Grenzer ausführlich und stempelt ihnen schließlich das Visum in den Ausweis.

Nach dem Mauerfall strömen all die Eindrücke auf die Familie ein, ohne dass sie Zeit finden, zu verstehen, was die Veränderungen für die Zukunft bedeuten könnten. Immerhin kann man endlich öffentlich sagen, was man denkt. In ihrem Schulalltag stellt sich Cornelia die Frage, ob sie weiter von Lehrern unterrichtet werden möchte, die in der SED waren. Sie findet sie unglaubwürdig. Zweifel hegt sie auch am neuen Unterricht – Biologie und Physik werden plötzlich abgeschafft und in Deutsch und Geschichte hinkt der Westlehrplan, nach dem nun unterrichtet wird, fast ein Jahr hinterher. Mit dem Weg aufs Gymnasium in Marzahn muss sie sich von vielen Mitschülern verabschieden. Sie ist froh, sich in keiner staatlichen Jugendorganisation mehr verpflichten zu müssen, um Abitur machen zu dürfen.

Durch die Probleme ihrer Eltern gerät die Familie in enorme finanzielle Not. Beide verlieren Anfang der 90er-Jahre ihre Anstellung und sind arbeitslos. Schließlich lassen sich die Eltern scheiden. Doch bis dahin hat die Mutter ihre Zuversicht längst verloren. Gelegentliche ABM-Maßnahmen geben ihr keine Hoffnung mehr, dass sie wieder zurück auf ihren Lebensweg finden kann. Cornelia muss auf einmal die Verantwortung für ihren Bruder und ihre Mutter übernehmen, Telefonate von Ämtern entgegennehmen, Anträge bei den Behörden oder die Steuererklärung ausfüllen. Davon ist sie völlig überfordert. Später weiß sie aus dieser Zeit, dass sie kämpfen kann. Selbständig, wie sie ist, reist sie als Jugendliche ohne Eltern an den Atlantik oder nach London. Und sie entdeckt vor allem die spannende Musik- und Theaterszene im Berlin der Nachwendezeit. Heute ist sie sich sicher, dass sie mit den Leuten in ihrer Clique zu DDR-Zeiten wahrscheinlich keinen Kontakt gehabt hätte.

Nach dem Abitur bewirbt sie sich an Schauspielschulen, studiert Theaterwissenschaften in Gießen und Film Studies in Reading/UK. Sie arbeitet in einer Produktionsfirma, die sich auf Filme aus dem ehemaligen Jugoslawien und Rumänien spezialisiert hat, und als Dramaturgin in Temeswar/Rumänien.

Gäbe es die DDR noch, so vermutet Cornelia im Rückblick, wäre sie in der Schule sicherlich angeeckt, weil sie ihren Mund nicht hätte halten können – besonders im Fach Staatsbürgerkunde. Stattdessen hatte sie die Chance, aufgrund ihrer Leistungen Abitur zu machen und zu studieren. Sie hat viele kleine Alltagserinnerungen an ihre Kindheit in der DDR und ihre Jugend in der Nachwendezeit behalten.

Cornelia lebt heute wieder in Berlin.

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